Nachvertragliche Kundenabwerbung zulässig?
2.) Verbindung § 90 HGB mit GeschGehG
Als eine der wichtigsten Erkenntnisse zu diesem Thema muss die Tatsache gelten, dass zwischen § 90 HGB und dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) nach Auffassung der Rspr. eine Verbindung besteht. Nachdem das GeschGehG am 26.04.2019 in Kraft getreten ist, wurde gleichzeitig dazu § 17 UWG ausrangiert. Diese Umstellung hat enorme Bedeutung. Während im Rahmen des § 17 UWG a.F. ein subjektiver Geheimhaltungswille des Unternehmers ausreichte, (der nach alter Rechtslage zudem vermutet wurde und nicht durch konkrete Geheimhaltungsmaßnahmen deutlich betont werden musste) wird nun durch § 2 Nr. 1b) GeschGehG eine Obliegenheit (d.h. eine Pflicht gegenüber sich selbst) zulasten des Unternehmers installiert. D.h. der Unternehmer muss objektive Geheimhaltungsmaßnahmen in Gang setzen. Werden keine „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergriffen, besteht kein Geschäftsgeheimnis und damit auch keinerlei Geheimhaltungsschutz, vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 03.06.2020 – 12 SaGa 4/20!
Der Unternehmer trägt in einem Prozess sodann die Darlegungs- und Beweislast, ob er solche angemessenen Schutzmaßnahmen ergriffen hat; kann er hier nichts oder zu wenig vortragen, steht er auf verlorenen Posten!
a) Was sind „angemessene Schutzmaßnahmen“?
Bzgl. der Frage, wie solche objektiven Schutzmaßnahmen aussehen können, besteht nach wie vor Verunsicherung. Der Gesetzgeber – sowohl die EU-Richtlinie, die dem dt. GeschGehG vorausging, als auch das GeschGehG selbst – hat dazu einiges beigetragen, da die Gesetzes-Begründungen lediglich lange und abstrakte Umschreibungen anbieten. Die praxisrelevanten Einzelheiten blieben scheint´s bewusst der Lehre und Rechtsprechung überlassen, vgl. Katalog in: BT-Drs. 19/4724, S. 24.
Tatsächlich stellen die beiden hier darzustellenden Urteile nun wichtige Mosaik-Steinchen dar, die veranschaulichen, wie durch die Rspr. Pflöcke eingeschlagen werden, um der Praxis zu erläutern, welche konkrete Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind.
(1) BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 172/23
Der zentrale Leitsatz dieser Entscheidung lautet:
„Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klausel), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam.“
Damit hat nun auch das höchste dt. Arbeitsgericht die Unzulässigkeit solcher „catch-all-Klauseln“ bestätigt, vgl. zuvor schon: LAG Köln, BeckRS 2019, 44850; LAG Düsseldorf, GRUR-RS 2020, 23408.
Das bedeutet:
• Klauseln, die einen Arbeitnehmer oder Handelsvertreter dem Ende des Vertriebsverhältnisses hinsichtlich rechtmäßig erlangter Kenntnisse uneingeschränkt und unendlich zur Verschwiegenheit verpflichten, stellen eine unangemessene Benachteiligung dar und sind unwirksam (§§ 310, 307 BGB).
• überdies ist es auch eine „unangemessene Maßnahme“ i.S. von § 2 Nr. 1b) GeschGehG, weil „Geheimschutz-Management“ auf einzelne Geheimnisse speziell abzielen muss.