ERGO Risiko-Report 2022 gibt Einblick in Sorgen und Ängste der Deutschen
Digitalisierung: Ein Fünftel aller Deutschen wünscht sich ein staatliches Überwachungssystem
Verhaltensinformationen über einzelne Personen lassen sich nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Staaten sammeln, verarbeiten, vernetzen – und für verschiedene Zwecke nutzen. Ein Aspekt sind dabei auch Punktesysteme („Social Scoring“) mit der Belohnung aus staatlicher Sicht „guten“ Verhaltens (Einräumen vielerlei Vergünstigungen etc.) sowie der Bestrafung nicht akzeptierten bzw. „verwerflichen“ Verhaltens (Beschränkung von Freiheiten, Ausschluss von sozialen Vorteilen etc.). Besondere mediale Aufmerksamkeit haben in den letzten Jahren staatliche und kommerzielle „Sozialkredit-Systeme“ in China erregt. Wer glaubt, ein umfassendes staatliches Überwachungssystem hätte hierzulande keine Chance und keine Unterstützer, der sieht sich getäuscht: 20 Prozent der Bundesbürger würden die Einführung eines vergleichbaren staatlichen „Sozialkredit-Systems“ in Deutschland ausdrücklich begrüßen. Unter den 18-30-Jährigen liegt die Zahl der Unterstützer sogar bei 28 Prozent (über 50-Jährige: 16 Prozent). Männer (24 Prozent) zeigen sich insgesamt deutlich aufgeschlossener gegenüber überwachungsstaatlichen Systemen als Frauen (17 Prozent). Vergleichsweise viel Rückhalt findet diese Idee bei Beamten (37 Prozent).
Alter: Unzureichendes Sparen fürs Alter – trotz hoher Angst vor Altersarmut
Obwohl 41 Prozent der Deutschen Angst vor Altersarmut haben, meint nur knapp ein Drittel (31 Prozent), bereits in ausreichendem Umfang für das Alter vorzusorgen (2018: 29 Prozent, 2019: 28 Prozent). Ebenso viele (32 Prozent) sagen, sie würden gerne mehr tun, könnten sich dies aber finanziell nicht leisten. Traurige Spitzenreiter sind hier die Frauen mit 37 Prozent.
Sicherheit: Die Angst vor Krieg und Naturkatastrophen steigt
An erster Stelle der größten Risiken für die Sicherheit stehen für die Deutschen weiterhin Terrorismus und Krieg (63 Prozent). Gegenüber 2019 (55 Prozent) lässt sich hier – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung des Kriegs in der Ukraine – ein Anstieg um acht Prozentpunkte verzeichnen. 2018 lag dieser Wert – seinerzeit auch bedingt durch vermehrte Terroranschläge in Deutschland – sogar noch etwas höher (68 Prozent). Naturkatastrophen und Unwetter (50 Prozent) stellen für die Bundesbürger ebenfalls ein großes und zugleich wachsendes Risiko dar. Gegenüber den Vorjahren zeigt sich hier ein Anstieg des Bedrohungsgefühls um zehn Prozentpunkte (2018 und 2019: jeweils 40 Prozent). Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 dürfte diese befeuert haben. Im Mittelfeld der von den Deutschen am stärksten wahrgenommen Sicherheitsrisiken im Alltag stehen Ängste vor: Unfällen im Straßenverkehr (37 Prozent), Opfer einer Gewalttat zu werden (34 Prozent), Datendiebstahl (27 Prozent) und Einbrüchen in Wohnung oder Haus (26 Prozent).
Gesundheit: Mit einem Lächeln ins hohe Alter
Etwas mehr als ein Viertel aller Deutschen (27 Prozent) glaubt, mit positivem Denken könne man sein Leben verlängern. Knapp jeder Fünfte (21 Prozent) traut regelmäßigen medizinischen Check-Ups denselben Effekt zu während etwa jeder Vierte (23 Prozent) Sport und Bewegung für den Schlüssel zu einem langen Leben hält. Dagegen werden Risiken wie eine falsche Ernährung, zu wenig Schlaf sowie der Konsum von Alkohol und Nikotin zum Teil deutlich unterschätzt: Zwar bewertet die Hälfte aller Befragten die verkürzte Lebenserwartung eines Rauchers im Vergleich zu einem Nichtraucher richtig. Aber wenn es darum geht, was sie selbst für ein langes Leben tun können, halten nur 12 Prozent der Deutschen Nichtrauchen für eine Option und gerade einmal 2 Prozent würden auf Alkohol verzichten.
Fazit
„Die Ergebnisse zeigen, dass Inflation, Niedrigzins und steigende Preise Spuren hinterlassen haben. Bei vielen Befragten reicht das Geld nicht für unvorhergesehene Anschaffungen oder eine private Altersvorsorge. Dies trifft insbesondere auf Frauen zu. Zwar setzen erfreulicherweise mittlerweile deutlich mehr Menschen für den Vermögensaufbau auf Aktien und würden eine Erbschaft anlegen und nicht verpulvern. Dennoch werden seit dem ersten Risiko-Report aus 2018 die Risikokompetenz und Eigenverantwortung der Deutschen nicht größer, sondern nehmen eher stetig ab. Der ERGO Risiko-Report 2022 zeigt außerdem, wie groß der Einfluss der Medien auf das Bewusstsein der Öffentlichkeit ist. Als Beispiel: seit sie Corona als Leitthema fallengelassen haben, ist Covid-19 auch kein großes Angstthema mehr. Auch der unglaubliche wissenschaftliche Fortschritt bei der Entwicklung von Impfstoffen bleibt weitgehend ungewürdigt. Eine Demokratie braucht aber eine kritische Menge kompetenter Bürgerinnen und Bürger, die mit Risiken informiert umgehen können. Das ist unsere nächste Aufgabe“, sagt Prof. Dr. Gerd Gigerenzer.