Kleinanlegerstrategie vor der Weichenstellung - AfW warnt vor Überregulierung

Die Diskussion um die europäische Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy, RIS) hat mit zwei neuen sogenannten Non-Papern an Fahrt aufgenommen. Neben der Europäischen Kommission, die erste Vereinfachungsvorschläge präsentierte, haben nun auch Frankreich und Tschechien ein eigenes Non-Paper vorgelegt. Dieses geht noch weiter und fordert weitreichende Deregulierungen. Der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW sieht die unabhängige Beratung durch die aktuellen Entwicklungen gefährdet und mahnt praxisnahe Lösungen an.
Die Europäische Kommission war nach dem Start der Trilogverhandlungen beauftragt worden, den RIS-Entwurf im Sinne der Praktikabilität zu überarbeiten. Ihr Non-Paper schlägt vor, vorvertragliche Informationen zu vereinfachen, ESG-Angaben im PRIIPs-KID zu streichen sowie Eignungs- und Best-Interest-Tests zusammenzuführen. Zudem sollen Peer-Gruppen-Vergleiche und Benchmark-Modelle für verschiedene Produktgruppen eingeführt werden. Auch eine Überarbeitung des umstrittenen Inducement-Tests wurde angeregt. Kurz darauf folgte das Non-Paper von Frankreich und Tschechien. Es fordert eine tiefere Deregulierung. Unter anderem sollen die Best-Interest-Prüfung und der Inducement-Test entfallen oder stark eingeschränkt werden. Auch die Anforderungen an die Portfoliodiversifizierung und sogenannte Level-2-Regelungen – präzisierende Ausführungsvorschriften, die maßgeblichen Einfluss auf den Beratungsalltag haben – sollen reduziert werden.
Non-Paper sind in der EU-Gesetzgebung keine offiziellen Rechtsakte, sondern dienen als informelle Diskussionsgrundlage. Sie sind rechtlich unverbindlich, zeigen jedoch auf, welche Lösungswege innerhalb der Verhandlungen erwogen werden.
Bereits vor den beiden Non-Papern hatten Rat und Parlament ihre Positionen abgesteckt. Während der Rat eher auf Flexibilität und Aufsichtsfokus setzt, verfolgt das Parlament eine detailreichere und stärker schutzorientierte Linie. In zentralen Bereichen wie Produkt-Governance, Marketinganforderungen, Sachkunde, Kundenklassifikation und Provisionsregelungen bestehen teils erhebliche Differenzen – besonders aber auch zu dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission aus Mai 2023.
Für den AfW steht fest: Der Ausgang der Verhandlungen könnte die Rahmenbedingungen für die unabhängige Vermittlung auf Jahre prägen. „Die Vorlage dieser beiden Non-Paper zeigt, wie offen die weitere Ausgestaltung der RIS derzeit ist“, erklärt Norman Wirth, Vorstand des AfW. „Gerade für unabhängige Vermittlerinnen und Vermittler ist es entscheidend, dass am Ende keine Regelungen stehen, die Beratung unnötig erschweren oder verteuern. Überregulierung gefährdet am Ende die Vielfalt und den Zugang zu guter Beratung.“
Während die ursprünglichen Pläne für ein Provisionsverbot halbwegs vom Tisch sind, sieht der AfW weiterhin besonders kritisch die Pläne zur indirekten Preisregulierung über europaweite Benchmarks. „Staatliche Preisvorgaben passen nicht zu funktionierenden Märkten. Sie können zu einer Einschränkung der Beratungsvielfalt führen und gerade Kleinanleger von der unabhängigen Beratung ausschließen“, so Wirth weiter.
Auch umstritten bleibt der Umgang mit dem PRIIPs-KID. Dieses standardisierte Basisinformationsblatt soll Privatanlegern eine schnelle Übersicht über wesentliche Merkmale und Risiken von Anlageprodukten ermöglichen. Kritisiert wird jedoch, dass es teils zu komplex und schwer verständlich ist. Die Kommission schlägt deshalb vor, bestimmte Angaben wie ESG-Informationen zu streichen und die Darstellung insgesamt zu vereinfachen.
Die nächsten Wochen werden zeigen, in welche Richtung sich die RIS weiterentwickelt. Am 14. Mai befasst sich die Verhandlungsgruppe des Europäischen Parlaments mit den neuen Non-Papern, die des Rats folgt am 19. Mai. Weitere – bisher unbestätigte - Trilogtermine sind für 3. Juni und 1. Juli vorgesehen. Ob die Kommission eine konsensfähige Balance zwischen Vereinfachung und wirksamem Anlegerschutz finden kann, bleibt abzuwarten.
Norman Wirth fasst zusammen: „Der aktuelle Verlauf der RIS-Debatte wirft ernste Fragen auf. Statt zu einer besseren Kapitalmarktteilnahme beizutragen, drohen sich die Verhandlungen in technischen Detailregelungen und Bürokratie zu verlieren. Die Interessen der Kleinanlegerinnen und -anleger und ihrer qualifizierten, unabhängigen Beratung geraten dabei zunehmend aus dem Blick. Es ist jetzt an der Kommission, Verantwortung zu übernehmen und den Kurs grundlegend, bis hin zu Rücknahme des kompletten Vorschlages zu hinterfragen – bevor ein Regelwerk entsteht, das in der Praxis mehr schadet als nützt.“
Hintergrund: Die Retail Investment Strategy (RIS):
Die europäische Kleinanlegerstrategie soll den Zugang von Privatanlegern zu Kapitalmärkten verbessern und den Anlegerschutz stärken. Sie umfasst Änderungen an bestehenden Regelwerken wie MiFID II und IDD. Die RIS wird derzeit im Trilog zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat verhandelt.
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