Berufsunfähigkeit: Verweisungstätigkeit und allgemeines Risiko des Arbeitsplatzverlustes
Das OLG Hamm hat sich mit Urteil vom 06.06.2016 – Aktenzeichen I-6 U 222/15 – mit der Verweisungstätigkeit eines Versicherungsnehmers beschäftigt, welcher einen Antrag auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente gestellt hat. Von Bedeutung war hier auch das allgemeine Risiko eines Arbeitsplatzverlustes.
Das OLG Hamm urteilte wie folgt im Einzelnen:
- Für die Frage, ob der seine Berufsunfähigkeit geltend machende Versicherungsnehmer eine seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende andere Tätigkeit ausüben kann, kommt es auf die für die Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sowie darauf an, ob die neue Tätigkeit in ihrer Vergütung und sozialen Wertschätzung nicht deutlich unter das Niveau seiner zuvor ausgeübten Tätigkeit absinkt.
- In welchem Umfang die Lebensstellung des Versicherungsnehmers von seiner ursprünglichen Ausbildung oder von einer davon abweichenden Berufserfahrung geprägt ist, hängt auch davon ab, wie weit er sich im Rahmen seiner beruflichen Laufbahn durch die Ausübung ausbildungsferner Tätigkeiten von seinem ursprünglichen Ausbildungsberuf entfernt hat.
- Da das allgemeine Risiko seinen Arbeitsplatz zu verlieren in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht mitversichert ist, müssen die allgemeinen Lage auf dem Arbeitsmarkt und die sich darauf gründende Chance auf den Erhalt einer neuen Arbeitsstelle jedenfalls dann unberücksichtigt bleiben, wenn der Versicherungsnehmer im Falle einer konkreten Verweisung die seine Lebensstellung prägende Verweisungstätigkeit nach zweieinhalb Jahren infolge nicht krankheitsbedingter Kündigung verloren hat.
- Eine konkrete Verweisung eines als stellvertretender Werkstattleiter eines Logistikzentrums tätigen Arbeiters auf eine im Angestelltenverhältnis ausgeübte Tätigkeit als Ausgangsexpedient im Bereich Transport dieses Logistikzentrums kann die bisherige Lebensstellung wahren (hier bejaht).
(- amtliche Leitsätze -)
Dem lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger ist gelernter Energieelektroniker. Nach seiner Ausbildung war er in verschiedenen Bereichen der Elektronik tätig. Auch eine Tätigkeit als Wachmann im Sicherheitsdienst übte er aus. Anschließend war er Haustechniker in einem Logistikzentrum. Dort ist er in der Folgezeit zum stellvertretenden Werkstattleiter aufgestiegen und erhielt einen Bruttolohn in Höhe von ca. 2.000 €.
Im Jahr 2012 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem er Ende 2012 Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit gegen den Versicherer geltend machte, wechselte er innerhalb des Logistikzentrums seinen Arbeitsplatz. Er absolvierte eine bestimmte Schulung und war ab Beginn des Jahres 2013 als Ausgangsexpedient im Bereich Transport/ Transportdisposition in dem Logistikzentrum tätig. Sein Bruttomonatsgehalt veränderte sich nicht deutlich.
Der Versicherer erkannte eine Berufsunfähigkeit bis Ende 2012 an und lehnte weitere Leistungen aufgrund der Tätigkeit des Klägers als Expedient ab.
Der Kläger war der Auffassung, die beiden Tätigkeiten als Werkstattleiter und Expedient seien nicht miteinander vergleichbar. Außerdem sei er als Expedient gekündigt worden. Als solcher hätte er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich schlechtere Chancen.