Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-147/08
Zusatzversorgungsbezüge eines in einer Lebenspartnerschaft lebenden Partners, die niedriger sind als diejenigen, die bei bestehender Ehe gezahlt werden, können eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellen
Zusatzversorgungsbezüge eines in einer Lebenspartnerschaft lebenden Partners, die niedriger sind als diejenigen, die bei bestehender Ehe gezahlt werden, können eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellen.Das ist der Fall, wenn die Lebenspartnerschaft Personen gleichen Geschlechts vorbehalten ist und sich in einer mit der Ehe rechtlich und tatsächlich vergleichbaren Situation befindet.
Herr Jürgen Römer war seit 1950 bis zum Eintritt seiner Erwerbsunfähigkeit am 31. Mai 1990 bei der Freien und Hansestadt Hamburg als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit 1969 lebt er ohne Unterbrechung mit seinem Partner, Herrn U., zusammen, mit dem er am 15. Oktober 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft gemäß dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16. Februar 2001 begründete. Herr Römer teilte dies seinem ehemaligen Arbeitgeber mit Schreiben vom 16. Oktober 2001 mit.
In der Folge beantragte er die Neuberechnung seiner Zusatzversorgungsbezüge unter Zugrundelegung einer günstigeren, bei verheirateten Versorgungsempfängern zur Anwendung kommenden Steuerklasse. Sein monatliches Ruhegeld hätte bei einer Berechnung gemäß der günstigeren Steuerklasse im September 2001 um 590,87 DM (302,11 Euro) höher sein müssen. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 weigerte sich die Freie und Hansestadt Hamburg, bei der Berechnung seines Ruhegelds die günstigere Steuerklasse anzuwenden, da nur nicht dauernd getrennt lebende verheiratete Versorgungsempfänger sowie Versorgungsempfänger, die Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung hätten, dies beanspruchen könnten.
Da Herr Römer der Auffassung war, dass er Anspruch darauf habe, bei der Berechnung seiner Versorgungsbezüge wie ein nicht dauernd getrennt lebender verheirateter Versorgungsempfänger behandelt zu werden, und dieser Anspruch aus der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf1 folge, rief er das Arbeitsgericht Hamburg an. Dieses befragt den Gerichtshof über die Auslegung der allgemeinen Grundsätze und der Vorschriften des Unionsrechts bezüglich der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wegen der sexuellen Ausrichtung.
In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass Zusatzversorgungsbezüge – wie die in dieser Rechtssache fraglichen – in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen.
Sodann weist der Gerichtshof als Erstes darauf hin, dass die Feststellung einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung voraussetzt, dass die fraglichen Situationen spezifisch und konkret im Hinblick auf die betreffende Leistung vergleichbar sind.
Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass mit dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft für Personen gleichen Geschlechts die Lebenspartnerschaft geschaffen und damit entschieden wurde, diesen Personen nicht die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen, die Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten bleibt. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts besteht in der deutschen Rechtsordnung infolge der schrittweisen Annäherung der für die Lebenspartnerschaft geschaffenen Regelungen an die für die Ehe geltenden kein ins Gewicht fallender rechtlicher Unterschied mehr zwischen diesen beiden Personenständen. Der verbleibende Unterschied liege nämlich im Wesentlichen nur noch darin, dass die Ehe die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner, die eingetragene Lebenspartnerschaft deren Gleichgeschlechtlichkeit voraussetze.
Im vorliegenden Fall setzt die Gewährung der zusätzlichen Versorgungsbezüge nicht nur voraus, dass der Versorgungsempfänger verheiratet ist, sondern auch, dass er von seinem Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt, da durch diese Bezüge dem Betroffenen und mittelbar auch den Personen, die mit ihm zusammenleben, ein Ersatzeinkommen verschafft werden soll. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft die Lebenspartner einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie dazu verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die partnerschaftliche Lebensgemeinschaft angemessen zu unterhalten, wie dies auch bei Ehegatten während des Zusammenlebens der Fall ist. Nach Ansicht des Gerichtshofs obliegen Lebenspartnern damit dieselben Pflichten wie verheirateten Ehepartnern. Folglich sind die beiden Situationen vergleichbar.
Als Zweites stellt der Gerichtshof zum Kriterium einer weniger günstigen Behandlung wegen der sexuellen Ausrichtung fest, dass die Bezüge von Herrn Römer offenbar erhöht worden wären, wenn er im Oktober 2001 geheiratet hätte, anstatt eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einem Mann einzugehen. Zudem steht die günstigere Behandlung weder in einem Zusammenhang mit den Einkünften der an der Lebensgemeinschaft Beteiligten noch mit der Existenz von Kindern oder mit anderen Faktoren wie diejenigen bezüglich des wirtschaftlichen Bedarfs des Ehegatten. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass der Familienstand von Herrn Römer keinerlei Einfluss auf seine Beiträge für die Bezüge hatte, da er sich an den Rentenaufwendungen durch Zahlung eines gleich hohen Beitrags wie seine verheirateten Kollegen zu beteiligen hatte.
Schließlich stellt der Gerichtshof zu den Auswirkungen einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung zum einen fest, dass sich ein Einzelner gegenüber einer Gebietskörperschaft wegen des Vorrangs des Unionsrechts auf das Recht auf Gleichbehandlung berufen kann, ohne abwarten zu müssen, dass der nationale Gesetzgeber diese Bestimmung mit dem Unionsrecht in Einklang bringt. Zum anderen stellt der Gerichtshof klar, dass ein Einzelner das Recht auf Gleichbehandlung erst ab Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2000/78, also ab dem 3. Dezember 2003, geltend machen kann.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
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