9. MiFID-Kongress: zwischen Überlastung und Unsicherheit
Beim regulatorischen Symposium der Börse Stuttgart wurde erneut deutlich, wie umfassend die neue Richtlinie MiFID II in die Finanzmärkte eingreift. Anlegerschutz und Anlageberatung, Handelstransparenz, Regulierung des außerbörslichen Handels, Positionslimits für Warenderivate, Herstellung und Vertrieb von Finanzprodukten:
Die Bandbreite der gestern beim 9. MiFID-Kongress der Börse Stuttgart diskutierten Themen war immens. Die Bedeutung der neuen EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II, an deren Umsetzung Europas Behörden derzeit arbeiten, wurde dadurch eindrucksvoll bestätigt. „Die MiFID ist das Grundgesetz der Kapitalmärkte“, erklärte Dr. Christoph Boschan von dem Bussche, Geschäftsführer der Boerse Stuttgart GmbH. „Und nun steht eine Grundgesetzänderung an.“
Entsprechend intensiv fielen die Diskussionen auf dem Kongress aus. So betrachteten etwa Dr. Michael Meister (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Lothar Binding, Finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Richard Pitterle, Steuerpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, und FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Volker Wissing das Regulierungsvorhaben durch die Augen der Politik. Dabei wies Meister darauf hin, dass auf verschiedene Weise die Eigenverantwortung der Marktteilnehmer gestärkt, zugleich aber auch die Bedingungen für schutzbedürftige Anleger verbessert würden. Er schränkte allerdings ein: „Die Politik kann dem Anleger seine Entscheidungen nicht abnehmen. Sie kann nur mehr Transparenz schaffen, indem sie die Marktakteure verpflichtet, mehr Informationen zur Verfügung zu stellen.“ Lothar Binding konstatierte, dass MiFID II in die richtige Richtung gehe und vieles verbessere – etwa durch die Regulierung des Hochfrequenzhandels. „Auch hier muss aber die Proportionalität gewahrt bleiben. Kleine Akteure dürfen nicht zu stark belastet werden“, warnte er jedoch. Volker Wissing hob hervor, dass MiFID II vor allem mit Blick auf die neuen Kontrollmechanismen, die in die Anlageberatung eingeflossen seien, richtig sei.
Richard Pitterle schließlich vertrat eine branchenkritische Position. „Das Zocken muss aufhören“, sagte er. „Die Finanzmärkte haben nichts mehr mit der Realwirtschaft zu tun.“ MiFID II sei daher nicht weitreichend genug. Pitterle lobte ausdrücklich die Finanztransaktionssteuer, die zwar nicht Teil der neuen Richtlinie ist, in Politik und Wirtschaft aber seit Jahren kontrovers diskutiert wird. Diese sei ein „Lichtblick“. Wissing widersprach: „Eine Finanztransaktionssteuer lässt sich nicht einführen, ohne dass dadurch die private Altersvorsorge und die Realwirtschaft belastet werden.“ Eine ähnliche Position vertritt seit Längerem auch die Börse Stuttgart. Christoph Boschan von dem Bussche forderte denn auch, Privatanleger sollten von der Steuer befreit werden: „Sie haben die Finanzkrise nicht verursacht.“
Auf welche Weise MiFID II Privatanlegern zugutekommen soll, verdeutlichte anschließend Elisabeth Roegele, Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht/Assetmanagement der BaFin, in einem Vortrag. Sie erläuterte, auf welche Weise die neuen Regeln zur Product Governance Hersteller und Distributoren von Finanzprodukten in die Pflicht nehmen. „Der Hersteller und der Distributor haben eine lebenslange Verantwortung für das Finanzprodukt und den Produktionsprozess“, erläuterte sie. Skeptisch zeigte sie sich gegenüber den mit MiFID II geplanten neuen Pflichten für Finanzdienstleister, elektronische Kommunikation mit Kunden aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungspflicht sei schwer umzusetzen und besonders in Deutschland umstritten. Roegele machte dabei auch deutlich, dass viele Details der Umsetzung nach wie vor im Dunkeln liegen.
Diese Unsicherheit prägte auch die anschließende Podiumsdiskussion mit Roegele und Vertretern der Finanzbranche über MiFID II-Aspekte wie die Anpassung der Vorschriften für Best Execution oder die allgemeinen Auswirkungen von MiFID II auf die Finanzmärkte und die Wertpapierkultur in Deutschland. „Es wird zu einer Verschiebung der Orderströme kommen, die Frage ist nur, wohin?“, sagte etwa Jürgen Wohlfahrt, Vertreter der Commerzbank und des DDV Ausschusses Anlegerschutz und Regulierung mit Blick auf die Best Execution-Kriterien.
Zuvor hatten Vertreter unter anderem des EU-Parlaments und der europäischen Finanzaufsichtsbehörde ESMA vor rund 300 Besuchern intensiv über die Umsetzung von MiFID II und deren Zeitplan diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass keiner der Beteiligten mehr mit einer Anwendung der Richtlinie zum ursprünglich vorgesehenen Termin am 3. Januar 2017 rechnet.
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