Die Millionen-Klage
von Marcus Bensmann Rechtsstreit um Steag-Tochter: Sechs Ruhrgebietsstädten drohen Verluste Bildnachweis: Kraftwerk Steag von der Halde aus von Fotografie Daniel Ziegler unter Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 Als hätten die kommunalen Eigentümer des Energieerzeugers der Essener STEAG GmbH nicht schon genug Probleme. Jetzt droht noch eine Schadensersatzklage in Höhe von sagenhaften 750 Millionen Euro, über die im Sommer das Landgericht in Karlsruhe entscheidet. Im letzten Jahr machte das Steag-Unternehmen, das Kohlekraftwerke, Müllverbrennungsanlagen und Windkraftanlagen in Deutschland und der Welt betreibt, 221 Millionen Euro Verluste. Trotzdem schüttete es Dividende an das Stadtwerke-Konsortium aus, von dem die ehemalige Evonik-Tochter 2014 gänzlich übernommen wurde. Der Deal klang, als er 2010 eingefädelt wurde, verlockend. Der Kauf eines Unternehmens mit potentiellen drei Milliarden Umsatz und einer Umsatzrendite von zehn Prozent würde den Kauf selbst finanzieren und noch Geld in die Kasse der klammen Kommunen sprudeln lassen. Aber das Versprechen hielt nicht lange. Mit Kohlekraftwerken in Deutschland und weltweit lässt sich nicht genügend Geld verdienen – die Energiewende macht der Steag zu schaffen, und die versprochene Erschließung neuer Geschäftsfelder kommt nicht in die Gänge. Die Dividende aus der Steag-Beteiligung haben die Stadtwerke der sechs Kommunen aus dem Ruhrgebiet aber bitter nötig, denn sie müssen damit die Kredite für den Kaufpreis von 1,2 Milliarden Euro abbezahlen. Blieben die Gelder aus, hätten die Stadtwerke ein Problem, die die Steag über die Kommunale Beteiligungsgesellschaft (KSBG) gekauft haben. Die Liste der beteiligten Städte liest sich wie das „Who is Who“ der verschuldeten Städte im Ruhrgebiet: Die Stadtwerke Dortmund sind mit 36 Prozent an der STEAG beteiligt, dann folgen die Stadtwerke von Duisburg (19 Prozent), Bochum (15 Prozent) und Essen (15 Prozent). Die Stadtwerke von Oberhausen und Dienstlaken halten jeweils 6 Prozent. Trotz Verluste verfüge die Steag über Reserven, aus denen die Dividenden an die kommunale Beteiligungsgesellschaft ausgezahlt werden könne, lässt sich die Steagführung in den Medien zitieren – mit den Zahlungen soll sichergestellt werden, dass die kommunalen Eigentümer den Kaufkredit bedienen können. 2015 betrug die ausgeschüttete Dividende 80 Millionen Euro, 2016 nur noch 55 Millionen Euro. Harte Jahre könnten noch härter werden „Wir wissen, dass noch drei bis vier harte Jahre vor dem Unternehmen liegen“, sagte der Chef der Dortmunder Stadtwerke und Steag-Aufsichtsrat Guntram Pehlke in den Medien, aber dann hoffe man auf die Früchte des „eingeleiteten Transformationsprozesses“. Doch ein Unglück kommt selten allein. Im Sommer droht ein Urteil zu einer Schadensersatzklage in Höhe von 750 Millionen Euro gegen das Unternehmen, die über Jahre von den Steag-Verantwortlichen heruntergespielt wurde. Eine fantastische Zahl. Die Summe entspricht den für 2017 geplanten Steuer- und Abgabeneinnahmen der Stadt Dortmund. Der Grund für diese Klage liegt in den neuen Bundesländern. Anfang der 2000er Jahre geht die Steag neue Wege. Deren Tochter Hamatech stellt Maschinen zur Herstellung von CDs und DVDs her. Einer der Kunden war die Optical Disc Service GmBH (ODS) unter dem damaligen Geschäftsführer Wilhelm Mittrich. Die ODS war erfolgreich, sie machte 200 Millionen Umsatz und 2006 arbeiteten da noch 2500 Mitarbeiter. Die ODS hatte einen Großauftrag von Universal Pictures. Aber die Maschinen, die Hamatech lieferte, machten Probleme. Die Produktion lahmte. Die ODS wollte entschädigt werden und erhielt von Hamatech einen Preisnachlass auf die gekauften Maschinen in Höhe von 11 Millionen Euro. Die Manager der ODS sahen in dem Preisnachlass einen „Schadensersatz“ für die nicht funktionstüchtige Ware. Ein verhängnisvolles Steuermanöver Die Hamatech deklarierte den Preisnachlass jedoch bei den Finanzämtern in Mecklenburg-Vorpommern als Preisreduzierung. Mit erheblichen Folgen: Hamatech konnte mit einer Rückzahlung von 1,5 Millionen Euro Umsatzsteuer rechnen – und die ODS müsste diese begleichen. Das Manöver eskalierte. Das Finanzamt in Wismar schaltete auf Attacke gegen die ODS. Es folgten Razzien und Vermögensarreste. Das verschreckte die Banken der ODS, Kreditlinien wurden gekündigt. Die ODS ging Pleite. Die Geschäftsführer mussten sich in einem Strafprozess wegen Subventionsbetruges, Umsatzsteuerhinterziehung und Kreditbetruges verantworten. 2013 wurden die Angeklagten freigesprochen. Für Mittrich und die anderen Geschäftsführer der Pleite gegangenen ODS ist die Angelegenheit eindeutig. Die Manager von Hamatech hätten mit Wissen von Steag gegenüber den Steuerbehörden bewusst falsche Angaben gemacht, hätten bewusst den Preisnachlass nicht als Schadensersatz sondern als Kaufpreis-Reduzierung angeben. Damit sei eine Lawine losgetreten worden, die letzten Endes die ODS unter sich begraben habe. Mittrich verfügt über Emails und Dokumente, die diese Aussage belegen sollen. Darunter eine Email aus der Finanzverwaltung von Steag-Hamatech aus dem November 2004, in der steht, „für diesen Teilbetrag müssen wir belegen, dass der Nachlass als Anreiz für frühere Zahlungen und nicht als Schadensersatz zu interpretieren ist“. Die Email liegt CORRECTIV.RUHR vor. War das Manöver eine bewusste Täuschung oder der legitime Versuch, eine für sich positive Steuerbewertung zu erlangen? Wurde von den Managern der Steag-Tochterfirma eine „Kausalkette“ in Gang gesetzt, die das Unternehmen von Mittrich in die Pleite trieb oder haben dazu noch andere Entscheidungen geführt – beispielsweise die Ermittlungen der Finanzämter in Mecklenburg-Vorpommern oder das Verhalten der ODS-Manager? Steag-Anwälte lehnen Vergleich ab Mittrich und dessen Anwälte sind überzeugt, dass sie die „Kausalkette“ belegen können. Dazu wurde die Alster & Elbe Inkasso gegründet, die Schadensersatzklage in Höhe von 750 Millionen Euro führt. Gegen fünf Beklagte, darunter die Steag, die sich nun im kommunalen Besitz befindet. Sollte das Urteil zu Gunsten Mittrichs ausfallen, müsste die Steag den Löwenanteil tragen. Es ist ein komplizierter Rechtsstreit. Die Richterin legte den Anwälten der Beklagten bei der mündlichen Verhandlung im April einen Vergleich nahe. Das Gericht habe der Klägerseite klargemacht, also der Alster & Elbe Inkasso, dass es in ihrer Argumentation verschiedene schwierige Punkte gebe – das bedeute aber nicht, dass der Kläger gar keine Chancen habe, sagte die Richterin gemäß eines Stenoprotokolls der Verhandlung, das CORRECTIV.RUHR vorliegt. Die Richterin sagte, dass die Klägerseite zu einem Vergleich bereit wäre, denn das Risiko sei ja nicht bei null. Die internationale Anwaltskanzlei Clifford Chance, die unter anderen Steag in dem Prozess vertritt, lehnte einen Vergleich aber ab. Das Risiko sei ja nie bei null, sagte der Anwalt von Clifford Chance gemäß des Stenoprotokolls. Die Klage sei unbegründet und man werde auch nicht 1000 Euro deswegen hergeben. Die Anwälte von Alster & Elbe Inkasso schrieben Anfang Mai daraufhin der Bezirksregierung Düsseldorf einen Brief. Erklärten wiederholt die Bereitschaft zum Vergleich und erhoben schwere Vorwürfe. Der Brief liegt CORRECTIV.RUHR vor. Sie werfen der Anwaltskanzlei Clifford Chance „einen schweren Interessenkonflikt“ vor. Die Anwaltskanzlei habe das Bankenkonsortium beraten, dass den Erwerb der Steag durch die KSBG erst möglich gemacht habe – und seit 2007 die Schadensersatzansprüche gegen die Hamatech abgewehrt, der damaligen Tochter von Steag. Clifford Chance sei in „Bezug auf das Risiko aus dem Schadensersatzprozess nicht nur auf Seiten der Steag (Zielgesellschaft) bzw. KSBG, sondern auch auf Seiten der finanzierenden Banken zum Erwerb der Zielgesellschaft tätig“ gewesen, heißt es in dem Schreiben an die Bezirksregierung. Clifford Chance teilte CORRECTIV.RUHR dazu mit, dass sie „zu den Behauptungen der Prozessgegner nicht Stellung nehmen können, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt und wir zudem an die Verschwiegenheitspflicht gebunden sind“. Trägt die Bezirksregierung Verantwortung? Zudem schrieben die Anwälte der Alster & Elbe Inkasso der Bezirksregierung über den „Verdacht des Erschleichens der Genehmigung der Kommunalaufsicht“. Wenn die Bezirksregierung von der anhängigen Schadensersatzklage gewusst hätte, hätte sie die Genehmigung nach der Gemeindeordnung für den Kauf der Steag nicht erteilt, schreiben die Anwälte in dem Brief. Die Bezirksregierung Düsseldorf erklärte auf Anfrage von CORRECTIV.RUHR: „Die Bezirksregierung hatte keine Kenntnis von einer möglicherweise anhängigen Klage der Alster & Elbe Inkasso GmbH gegen die Steag GmbH.“ Es sei aber nicht zutreffend, dass die „Bezirksregierung den Erwerb der Steag aufsichtsrechtlich genehmigt hat“. Denn: „Entscheidungen der Gemeinde über die Beteiligung an einer Gesellschaft sind nach Maßgabe des § 115 Gemeindeordnung lediglich anzeigepflichtig.“ Diese Aussage verwundert. Im Dezember 2014 klang das noch anders. Die WAZ meldete , dass das Land grünes Licht für die Steag-Übernahme durch die Stadtwerke gegeben habe. Die heutige Sichtweise der Bezirksregierung Düsseldorf ist streitbar. In Paragraph 107a der Gemeindeordnung steht, dass die „Aufnahme einer energiewirtschaftlichen Betätigung auf ausländischen Märkten“ der „Genehmigung“ bedarf. Und die Steag ist im Ausland tätig. Sie unterhält nach Aussage der eigenen Webseite u.a. Steinkohlekraftwerke in Kolumbien, der Türkei und auf den Philippinen. Es ist nicht klar, inwiefern Evonik bei dem Verkauf der Anteile von Steag an den kommunalen Käufer eine Freistellung zugesichert habe – für den Fall, dass die Schadensersatzklage Erfolg haben sollte. Evonik, der kommunale Verband und die Stadt Dortmund sagten, dass sie erst am Montag auf die Fragen antworten könnten. Die Antworten werden nachgereicht. CORRECTIV.RUHR berichtet weiter. Von Anfang hielten die Beklagten die Schadensersatzklage für nichtig, setzten auf Verjährung, und bezweifelten die „Kausalität“ zwischen der ODS-Insolvenz und der Umsatzsteuerproblematik. Daher wurden auch keine Rücklagen gebildet. Nun wird im Sommer über die 750 Millionen-Klage entschieden. Wie auch immer die Richterin in Karlsruhe entscheidet, wird der Fall sehr wahrscheinlich in die nächste Instanz gehen. Vor Gericht und auf hoher See ist man aber bekanntlich in Gottes Hand. In einem dieser Boote auf hoher See sitzen sechs hochverschuldete Ruhrgebietsstädte. Sollte die Klage Erfolg haben – das Boot könnte untergehen. Steal our Stories Bitte bedienen Sie sich. Unsere Geschichten kann jeder auf seine Seite stellen. Wie das geht, steht hier .
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