Jahrhundertprojekt Brennertunnel gestartet
Zu Beginn der Bauarbeiten für den Arlbergtunnel zwischen den beiden österreichischen Bundesländern Vorarlberg und Tirol Anfang der 1970er-Jahre trat das Verhältnis zwischen den Volksgruppen diesseits und jenseits des alpinen Höhenzugs oberhalb von St. Anton deutlich zutage: Beide verbindet eine ebenso herzliche Zuneigung wie sie in deutschen Landen zwischen Bayern und Preußen herrscht. „Was Gott durch einen Berg getrennt hat“, so ließ sich der damalige Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer zitieren, „soll der Mensch nicht durch einen Tunnel verbinden.“ Am jüngsten unterirdischen Stollen zwischen Innsbruck und der südtiroler Gemeinde Franzensfeste, an dessen Bau ab sofort nach Kräften gebuddelt wird, hätte der 1989 verstorbene Wallnöfer jedoch mit Sicherheit nichts zu meckern gehabt. Immerhin stand der gebürtige Vinschgauer in den 1960er-Jahren den Freiheitskämpfern mehr als nahe, die mit Sprengstoffanschlägen auf Stromleitungen die südtiroler Autonomie auf italienischem Boden erreichten, die heutzutage zu einem Vorzeigeprojekt der Europäischen Union zählt. Der neue Tunnel führt auf direktem Weg in seine alte Heimat. Die Idee, einen Scheiteltunnel unter dem Brennerpass hindurch zu errichten, hatte der italienische Ingenieur Giovanni Qualizza bereits im Jahr 1847. Bis zum Bau eines Basistunnels sollten jedoch 160 Jahre vergehen – „Basistunnel“ deshalb, weil er die Alpen ohne nennenswerte Steigung unterqueren soll. Er ist Teil der insgesamt 2200 Kilometer langen Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsachse Berlin–Palermo im TEN-Programm (Transeuropäische Netze) der EU. Als Kernstück des TEN-Korridors Scan-Med (Skandinavien – Mittelmeer) wird er die wichtigsten Städte entlang der Strecke mit Häfen in Nordeuropa und Industrieregionen in Süddeutschland mit Norditalien, den italienischen Häfen und Valletta auf Malta verbinden. Diesen Korridor stuft die Europäische Union als vorrangig ein, wobei der Brenner Basistunnel neben dem Fehmarnbelt-Tunnel das Krenstück dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung bildet. Die beiden 8,1 Meter breiten, eingleisigen Tunnelröhren werden in einem Abstand von 70 Meter verlaufen und gewährleisten, dass die Züge im Einbahnverkehr fahren. In Abständen von 333 Metern verbindet ein Stollen, ein sogenannter Querschlag, die Röhren. Diese Querschläge dienen in Notfallsituationen als Fluchtweg, was den höchsten Sicherheitsstandards im Tunnelbau entspricht. Zugangs- sowie Erkundungstunnel sind weitestgehend fertig. Gestern versammelten sich zum feierlichen Baubeginn der Arbeiten am Haupttunnel auf österreichischer Seite in Innsbruck die Verkehrsminister von Deutschland, Italien und Österreich sowie EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc am zukünftigen Tunneleingang. „Ein einheitliches und zukunftsorientiertes Transportsystem für das Alpengebiet ist sowohl für die gesamte Leistung von Europas Transportsystem als auch für die Bewahrung der Natur und der Lebensbedingungen von Völkern in diesem Gebiet lebenswichtig“, sagte die Kommissarin, die höchstpersönlich als Tunnelpatin den Startschuss für den Baubeginn in der Nähe der Europabrücke vornahm. Die mit 64 Kilometer längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt gilt als ingenieurstechnische Pionierleistung des 21. Jahrhunderts und wird zu einer spürbaren Verbesserung der Reise- und Transportmöglichkeiten im Herzen Europas führen. Wenn – wie geplant – ab Dezember 2026 Güterzüge mit bis zu 150 km/h und Personenzüge mit weit über 200 km/h durch den Tunnel rasen, wird sich die Fahrtzeit zwischen Innsbruck und Bozen auf eine Stunde halbieren. Der ICE zwischen München und Verona wird nur noch drei Stunden statt aktuell fünfeinhalb Stunden benötigen. Laut den Plänen aus dem Jahr 2012 wird das Projekt nach damaligen Preisen rund 8,5 Milliarden Euro kosten. Für Studien, Planungen und den Bau des Erkundungsstollens ließ die EU die Hälfte springen, ihr Anteil für den Bau der Hauttunnelröhren beträgt 30 Prozent, was die bisher höchste Ko-Finanzierung eines Infrastrukturprojektes durch die EU darstellt. Der Restbetrag wird gleichmäßig unter den Regierungen Österreichs und Italiens aufgeteilt. Dass die Anrainerstaaten rund um den Brenner den Tunnel herbeisehnen, ist verständlich. Die Route über den Brennerpass ist seit jeher eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen in Europa. Zurzeit rollen über den Pass, der mit 1371 Metern einer der niedrigsten Alpenpässe und ganzjährig befahrbar ist, über 40 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs – fast 50 Millionen Tonnen pro Jahr. Ein Drittel davon bewältigt die Eisenbahn, zwei Drittel Autobahn und Landstraße – mit sämtlichen negativen Folgen für Natur und Umwelt. Die Universität Innsbruck verabreichte allerdings den erhofften Aussichten auf Besserung 2007 einen kräftigen Dämpfer. Ein Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Brennerbasistunnel praktisch keine Entlastung bei Schadstoffen und Luftverschmutzung bringe. Die Belastung mit Stickoxiden und Kohlendioxid durch den Schwerverkehr würde lediglich nicht noch mehr zunehmen. Während der Bauphase soll laut der Brennerbasistunnelgesellschaft (BBT) das empfindliche Ökosystem der Alpen so intensiv wie möglich geschützt werden. So sind und werden die Tunnelportale behutsam in die Landschaft eingebettet und Deponien für den Abraum in der Nähe der seitlichen Zufahrtstunnel angesiedelt. In den Nahbereichen der Baustellen werden neue Nist- und Futterplätze für Tiere angelegt, falls die sich durch die Arbeiten beeinträchtigt fühlen sollten. In sensiblen Landschaftsteilen überwacht eine eigens eingerichtete ökologische Bauaufsicht die Auswirkungen des Baugeschehens auf Umwelt und Natur. Und damit die Abräummengen in Grenzen bleiben und keine Rohstoffe verschwendet werden, soll bis zu einem Drittel des Ausbruchmaterials als Rohstoff beim Tunnelbau eingesetzt werden. Vorerst freilich stehen die Feiern zum Eintritt in die wichtigste Phase des Projekts im Vordergrund. „Tirol ist nicht nur das Herz Europas, sondern steht heute auch im Mittelpunkt der europäischen Verkehrspolitik“, freute sich Landeshauptmann Günther Platter gestern. Sein Vor-Vor-Vor-Vorgänger, der Patriot und einstige Tiroler Landesvater Eduard Wallnöfer muss sich also posthum nicht so sehr grämen wie beim Bau des Arlbergtunnels, denn der Brennertunnel dürfte ganz in seinem Sinne sein. Es gibt keinen Grund, sich im Grabe umzudrehen. (ampnet/hrr) Bilder zum Artikel Arbeiten am Brennerbasistunnel. Foto: Auto-Medienportal.Net/BBT klein (159 kB) mittel (1,05 MB) groß (1,18 MB) Baustelle des Brennerbasistunnels in Mauls. Foto: Auto-Medienportal.Net/BBT klein (143 kB) mittel (1,25 MB) groß (1,25 MB) Geplanter Brennerbasistunnel. Foto: Auto-Medienportal.Net/BBT klein (127 kB) mittel (974 kB) groß (1,12 MB) Trassenführung des Brennerbasistunnels. Foto: Auto-Medienportal.Net/BBT klein (85 kB) mittel (182 kB) groß (1,10 MB) Bauarbeiten am Erkundungsstollen Insbrück-Ahrental für den Brennerbasistunnel. Foto: Auto-Medienportal.Net/BBT klein (256 kB) mittel (1,22 MB) groß (1,22 MB) Landeshauptmann Günther Platter begrüßt EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und Österreichs Verkehrsminsiter Alois Stöger (r.) am Flughafen Insbruck. Foto: Auto-Medienportal.Net/Land Tirol klein (157 kB) mittel (369 kB) groß (1,13 MB)
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