28. 06. 2013 - „Dass die Einheitsversicherung jemals Realität wird, glaube ich nicht“
(ac) Wenige Monate vor der Bundestagswahl ist die ‚Bürgerversicherung‘ in aller Munde und Gegenstand zahlreicher Umfragen, Studien und Diskussionen. Einerseits gibt es Berechnungen, wie viele Kosten damit auf Deutschland zukommen und wie viele Arbeitsplätze – auch in der Versicherungswirtschaft – verloren gehen würden. Andererseits existiert bereits ein Entwurf eines mehrstufigen Plans, der die Schritte hin zum Einheitssystem aufzeichnet. Nachgefragt bei Dr. Volker Leienbach, Direktor des PKV-Verbands.AssCompact: Herr Dr. Leienbach, ist die „integrierte Krankenversicherung“ schon eine beschlossene Sache?Dr. Volker Leienbach: Keineswegs, das Gegenteil ist der Fall. In den vergangenen vier Jahren wurde die Gesetzliche Krankenversicherung finanziell wieder auf sicherere Füße gestellt, und auch für die Private Krankenversicherung hat der Gesetzgeber Entscheidungen gefällt, sodass beide für die Zukunft bestens gerüstet sind. Warum sollten wir auch riskieren, ein alles in allem sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem, um das wir weltweit beneidet werden, infrage zu stellen? AC: Die Verbraucherzentrale hat einen konkreten Zehn-Punkte-Plan erstellt, wie die Umwandlung in ein Einheitssystem aussehen könnte. Wäre allein rechtlich eine Umwandlung möglich und wie müsste diese vonstatten gehen?Dr. Volker Leienbach: Das müssen Sie schon die Urheber dieses so genannten Plans fragen. Bei der Gelegenheit könnten Sie die Verbraucherzentrale auch fragen, was es den Verbrauchern nützen soll, ein funktionierendes System mit 9 Millionen erwiesenermaßen sehr zufriedenen und nachhaltig abgesicherten Kunden zwangsweise abzuschaffen. Aus unserer Sicht wäre die Umwandlung in ein Einheitssystem zudem schlicht verfassungswidrig. AC: Es gibt immer mehr Studien, dass sich PKV-Versicherte zurück in die GKV sehnen. Meist geht es um die steigenden Beiträge im Alter. Auch Versicherungsmakler würden sich mehr Beitragsstabilität wünschen. Wird dieser Aspekt zum unlösbaren Problem? VL: Einspruch! Erstens gibt es für diese Behauptung nur eine Quelle, nämlich eine Marktforschung der AOK auf der Basis von etwa 500 Privatversicherten. Zur selben Zeit ergab eine Umfrage der unabhängigen Ratingagentur ASSEKURATA unter 4.400 Privatversicherten eine Zufriedenheit von 96,2 Prozent. Und 90,1 Prozent von ihnen würden heute ihre Krankenversicherung nochmals bei ihrem derzeitigen PKV-Unternehmen abschließen. Diese Werte decken sich mit zahlreichen repräsentativen Untersuchungen verschiedenster Auftraggeber, die seit Jahren stets eine höhere Kundenzufriedenheit in der PKV als in der GKV belegen. So hat z.B. einer repräsentativen Umfrage des Instituts TNS Emnid ergeben, dass 28 Prozent der GKV-Versicherten lieber privat versichert wären – ein Großteil darf dies aber wegen der hohen gesetzlichen Versicherungspflichtgrenze nicht. Letztlich müssen wir sehen: Der Wechsel von Versicherten zwischen der Gesetzlichen und der Privaten Krankenversicherung ist normal und durchaus gewollt. Dieser Systemwettbewerb ist schließlich der Antrieb, der unser Gesundheitswesen so leistungsfähig macht. AC: Wie sieht momentan die politische Dimension im Wahljahr aus? Was passiert hinter den Kulissen?VL: Nicht hinter den Kulissen, sondern vorne auf der Bühne ist einiges in diesem Wahljahr passiert, was uns allesamt nach vorne bringen wird: Zu Jahresbeginn wurde die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung eingeführt. Über 150.000 Personen haben bereits eine Police abgeschlossen, um das Pflegerisiko im Alter abzufedern, und täglich kommen rund 1.000 neue Verträge hinzu. Die Gesetzgebungsarbeit in dieser Wahlperiode ist jetzt weitgehend abgeschlossen, danach beginnt der Wahlkampf.AC: Wie schätzen Sie tatsächlich die Chancen ein, dass es die PKV weiterhin in der jetzigen Form geben wird?VL: Die Chancen sind mehr als gut. Dass die Einheitsversicherung jemals Realität wird, glaube ich nicht. Denn das Ergebnis wäre schlechter für alle. Vor allem droht im gleichgeschalteten Einheitssystem eine schlechtere medizinische Versorgung für alle. Jeder sechste Arzt rechnet damit, in einer Bürgerversicherung seine Praxis schließen zu müssen, da kann man sich leicht ausmalen, wie das die medizinische Betreuung schwächen und die Wartezeiten für alle verlängern würde. Überdies würden durch die SPD-Bürgerversicherung die Lohnzusatzkosten um 8 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr explodieren – damit stünden zigtausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Zudem belegt eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung des DGB, dass eine Bürgerversicherung bis zu 70.000 Arbeitsplätze schon allein in der Versicherungsbranche vernichten würde. Überall engagiert sich die Politik für die Rettung von Arbeitsplätzen, etwa bei der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker mit 25.000 Arbeitsplätzen oder bei der Schließung von Opel in Bochum mit rund 3000 Betroffenen. Und hier will man ein Vielfaches an stabilen Arbeitsplätzen willkürlich zerstören? Wenn alle diese Risiken und Nebenwirkungen konkret werden, wird niemand eine Bürgerversicherung verwirklichen – wie auch immer die Regierungsmehrheit aussieht. Siehe zu diesem Thema auch: Debeka Betriebsräte wenden sich gegen Arbeitsplatzabbau durch die Einführung einer BürgerversicherungBürgerversicherung unter Sachverständigen umstrittenvbw Online Rechner und Studie zeigen: Bürgerversicherung kostet Deutschland Milliarden
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