Kommentar: Bloß nicht recherchieren
Der Sonnabend ist für viele aktuell arbeitende Journalisten immer noch der eigentliche Sonntag – Zeit zum Entspannen und zum Besinnen, in diesen wilden Tagen voller Nebel um den Diesel erst recht. Als Volontär auf Besuch bei einem großen Hamburger Boulevardblatt verriet mir einst dessen Chefredakteur sein Credo: nur so lange recherchieren, bis die Geschichte droht kaputtzugehen. Es schüttelt mich noch heute, wenn ich an meine naive Empörung und meinen Verzicht auf Widerspruch denke. Und es schüttelt mich heute schon wieder, wenn ich beobachten muss, wie gierig Menschen und Medien nach Geschichten greifen. Bürger, Verbände, Umweltaktivisten, Politiker und ganze Staaten lassen sich erst zu Emotionen und dann zu Aktionen hinreißen, die sich hinterher als hysterisch und sinnlos herausstellen. Beispiele gefällig? Nehmen wir die Hatz auf den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Als diese gewaltige Blase von Anwürfen vor Gericht geplatzt war, gab es sogar einzelne Medien, die ihre Rolle beim Sturz des ersten Mannes im Staat vorsichtig in Frage stellten. Das geschieht nicht oft, hatte aber wohl auch damit zu tun, dass die Akteure das Umfeld kannten, auf dem sie sich übereifrig getummelt hatten: das politische Parkett. Die, die später am Umgang mit dem Thema zweifelten, waren sachkundige Journalisten. Aber man muss nicht gleich den Bundespräsidenten bemühen. Halten wir Bodenkontakt und suchen Beispiele, die etwas mit dem Automobil und der Verkehr zu tun haben. Nehmen wir den Feinstaubfilter. Einst zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac in Berlin verabredet, obwohl dieser Handschlag der Regel widersprach, der Industrie keine Technologie, sondern Grenzwerte vorzugeben. Frankreich blieb von dem Ergebnis nahezu unberührt, während sich in Deutschland auf einmal Umweltgruppen des Themas kämpferisch annahmen. Darunter die Deutsche Umwelt-Hilfe (DUH) mit ihrem bis heute aktiven Geschäftsführer Jürgen Resch. Erst die Berliner Korrespondenten, dann die Berliner Politik nahmen sich des Themas an. Wissen war dabei nur selten Voraussetzung für vernichtende Kommentare. Der Mainstream spülte die Sachkundigen weg. Das Ergebnis: Die Feinstaubplakette, die still und heimlich in Umweltplakette umgetauft wurde, weil rasch klar war, dass sie beim Feinstaub nicht das so sehnlich gewünschte Ergebnis brachte. Den Aktivisten reichte auch der Hinweis auf die fehlende Wirksamkeit nicht als Grund, auf Maßnahmen zu verzichten. Es war für grüne Aktivisten einfach zu verlockend, die Plakette als Zeichen gegen den Individualverkehr für eigene politische Handlungsfähigkeit zu nutzen. Mit den nicht mehr zu verhindernden Umweltzonen hatten DUH und Medien eine der größten Enteignungsaktionen in Deutschland ausgelöst: Alle Autos, die keine grüne Plakette erhalten konnten, waren auf einmal nicht mehr viel oder gar nichts mehr wert. Nehmen wir den Hybridantrieb: Einst forderte Renate Künast alle Politiker dazu auf, ausschließlich Toyota Prius zu fahren. War das doch das erste Automobil mit Hybridabtrieb in großer Stückzahl und zu erschwinglichen Preisen. Ein Prius hätte die bei Politikern dieser Gewichtigkeit übliche Panzerung nicht von der Stelle bewegen können. Aber Idee war medienwirksam. Heute wissen wir, dass Hybridantriebe ihren Vorteil am besten im dichten Stadtverkehr beweisen können. Und wir wissen, dass der normale Hybrid, aber auch der Plug-in-Hybrid mit ihrer Gesamtbilanz beim Kohlendioxid einen Wettbewerber haben: den Diesel. Nehmen wir uns also den Diesel vor: Sein Verbrauch liegt um rund ein Fünftel tiefer als der eines Ottomotors. Das ist Fakt. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, brauchen wir den Diesel. Das bleibt Fakt, solange nicht der Batterieindustrie der entscheidende Durchbruch gelingt, der auf der einen Seite die gewünschte Reichweite zu kleinen Preisen bringt und auf der anderen Seite die richtige Ökobilanz aufweist. Das wird ganz sicher nicht morgen geschehen. Bis dahin brauchen wir den Diesel, auch wenn Volkswagen dieser Technologie jetzt einen Bärendienst erwiesen hat. Den illegalen Einbau einer Software, die Ergebnisse auf einem Rollenprüfstand manipuliert, darf jeder naiv, dreist, arrogant oder kriminell nennen. Die Software für den Prüfstand ändert aber nichts an den grundsätzlichen Qualitäten des Dieselmotors in der Praxis. Doch wie beim Feinstaubfilter tummeln sich auf diesem Feld Empörte, die es nicht besser wissen, sich auch diesem Mainstream anschließen oder in ihm gar eine günstige Gelegenheit sehen, das Auto an sich am Dieselmotor aufzuhängen. Da werden sogar alte Schreckgespenster wieder ausgegraben, zum Beispiel von Jürgen Resch, der – wie in emotionalsten Feinstaub-Zeiten – mal wieder 35 000 Tote in Europa über den Sender androhen durfte. Und niemand widersprach ihm zum Beispiel mit dem Hinweis, wie eine solche Zahl der UN-Gesundheitsorganisation WHO zu lesen ist. Da werden Studien der International Council of Clean Transportation (ICCT) herangezogen, einer US-Umweltorganisation, in der auch Axel Friedrich, bekennender Auto-Hasser und ehemaliger Beamter des Umwelt-Bundesamts (UBA) seine früher schon unselige Rolle weiterspielt. Das Ergebnis der Studien: In der Praxis verbrauchen auch Diesel mehr als auf der Rolle. Das berichtet jede Fachzeitschrift und auch jede Motorseite einer Tageszeitung. Die weisen seit Jahren darauf hin, dass der sogenannte „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ) nichts mit der Praxis zu tun hat, aber immerhin die Vergleichbarkeit der Fahrzeugmodelle gewährleistet. Lesen gehört ebenfalls zum Recherchieren, selbst wenn der Text von einem Kollegen stammt. Auch Politiker hätten längst die Chance gehabt, sich über den NEFZ oder die „Worlwide Harmonized Light Duty Test Procedure“ (WLTP) und ihre Folgen und den Stand der Einführung zu informieren. Wer sich heute über höhere Verbrauchswerte in der Praxis beklagt, beweist, dass er wenig er von dem versteht, über das er spricht – oder die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen will, weil er seine eigenen Ziele verfolgt. Das Verhalten von Volkswagen wird das Unternehmen teuer zu stehen kommen. Das trifft aber nicht nur Aktionäre, Management und Mitarbeiter, sondern zunehmend auch die Wettbewerber, zumindest die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer, also mittelfristig die deutsche Wirtschaft. Auch für die geplante Reduzierung der Kohlendioxidbelastung wird es nicht ohne Folgen bleiben, wenn der Dieselmotor nun Schaden nimmt. Wir brauchen den Selbstzünder und forschungsintensive Unternehmen wie den Volkswagen-Konzern. Otto- und Dieselmotoren müssen in den Emissionen runter, weil sie uns noch solange begleiten werden, bis eine attraktive und akzeptierte Alternative auf dem Markt erscheint. Es läuft darauf hinaus, dass die Elektromobilität mit Strom aus regenerativen Quellen diese Alternative sein wird. Aber auch dann wird der sparsame, umweltverträglichere Diesel uns noch gute Dienste erweisen. Die Causa Software können wir getrost den Staatsanwaltschaften überlassen, ebenso die diversen Verschwörungstheorien und die Vorwürfe kriminellen Handels noch an anderer Stelle. Doch in allen drei Bereichen stecken Geschichten mit Potenzial. Wir werden sie alle erleben. Krach bringt Klicks, Quote und Auflage. Und außerdem wirkt es immer so schön ausgewogen, wenn man seine Experten befragen und die Dinge einordnen lässt. Einem erfolgversprechenden Gesamtkonzept für die Mobilität von Morgen und die Rolle Deutschlands steht die momentane hysterische Gier nach neuen Ergebnissen investigativen Nachforschens entgegen. Welchen Experten hätte die Botschaft verblüffen können, dass Volkswagen-Motoren auch in anderen Konzernmarken Dienst tun. Diese Selbstverständlichkeit hatte es dennoch sogar für einige Tage in die Schlagzeilen geschafft. Der richtige Umgang mit der Verfehlung von Volkswagen und mit dem Dieselmotor braucht andere Quellen als Jürgen Resch, Axel Friedrich oder Prof. Ferdinand Dudenhöffer. Es wird Zeit, dass Medien und Politik anderen als diesen ganz besonderen Demagogen eine Stimme verschaffen. Fehlende Recherche hält zwar die Geschichte am Leben, aber weder unsere Volkswirtschaft noch unsere Gesellschaft. In diesem Sinne: einen schönen, besinnlichen Sonnabend. (ampnet/Sm) Bilder zum Artikel Peter Schwerdtmann Foto: Auto-Medienportal.Net klein (123 kB) mittel (923 kB) groß (923 kB)
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